Es liegt zumindest ein Hauch von Apokalypse in der deutschen Luft; Facebook-Freundschaften zerbrechen, Grüne outen sich als Christen, CDU – Wähler streichen das „C“ aus ihrer ehemaligen Wahlüberzeugung und erklären die Bundeskanzlerin zur „Totengräberin Europas“, die beiden großen Parteien verschmelzen zu einer politisch undefinierbaren Masse, Kirchen bringen sich in die Politik ein und wirken fast wie die (ehemaligen) Grünen, mit all ihrer Ausländerfreundlichkeit und manchmal auch ihrem naiven „mit-Dialog-geht-alles“-Denken und meinen, damit punkten zu können. Vermeintliche Freunde werden zu Feinden, politische Gegner (gegen Rechts oder gegen Links) werden zu Freunden und helfen einander, wie es Frau Merkel und Herr Kretschmann tun. Und in Sachsen-Anhalt wählt fast jeder 4. Wähler eine Alternative für Deutschland…

Hier in Ägypten sieht die Situation wohl etwas anders aus – sicher auch der Tatsache geschuldet, dass unsere Probleme anderer Art sind…
Aus meinem Blick als Ausländer in einem nordafrikanischen Land ist das, was man aus der „Heimatfront“ erfährt (man verzeihe mir dieses schrecklich belastete Wort, aber passender könnte man die derzeitige Situation wohl nicht beschreiben), ein völlig surreales Bild einer Gesellschaft in totaler Auflösungspanik!

Zwei konträr denkende Menschen könnten genau diesen Satz formulieren:

„Deutschland wird nie mehr so werden, wie es einmal war!“
Die Ängstlichen (denn um nur solche handelt es sich bei Pegida, AfD, Republikanern, NPDlern und Co.) schreien es heraus: Die Werte unseres „christlichen Abendlandes“ werden angegriffen, unsere Kultur wird zerstört, wir wollen so bleiben, wie wir sind und uns nicht stören lassen von ungebildetem, barbarischem (und dazu noch muslimischem) Gesindel.

„Deutschland wird nie mehr so werden, wie es einmal war!“
Das rufen auch die Freunde allen bunten Kulturoptimismus‘, diejenigen, die sagen, jedes Fremde ist eine Bereicherung, alle, die gerne auch einmal die syrische oder afghanische Küche probieren wollen und dabei sagen: Ist doch egal, was man glaubt; Hauptsache, man glaubt überhaupt etwas.

Und dabei ist beides so – wie die Schwaben es sagen würden – „grottenfalsch“!
Die Ängstlichen, die am liebsten die Grenzen hermetisch abriegeln und mit Schießanlagen versehen wollen, können bei Nachfrage nicht im Geringsten definieren, was denn nun das „Christliche Abendland“ sei. In Ostdeutschland liegt die Zahl der Christen bei einer schwarzen Null. Und die wenigen Katholiken, etwa im katholischen Eichsfeld, mit ihrem neuen wackeren Bischof, der aus dem Bistum Mainz stammt, müssen sich eher bedeckt halten – um nicht gelyncht zu werden. Aber natürlich ist es nicht nur der Osten, der von jedem Wissen über Kultur bereinigt zu sein scheint. Wo bleibt im Westen eine Initiative, um den Flüchtlingen unser Christentum auch in Worten zu erklären? Hätte die Deutsche Bischofskonferenz nicht einmal den Rat geben können, alle Katholiken sollen sich jeweils eines Flüchtlings annehmen, um ihm von Christus und dem Glauben zu erzählen? Wäre eine Aktion: „Jedem Gast eine arabische Bibel!“ nicht eine gute und wegweisende Aktion gewesen. Stattdessen hören wir selbst von Bischöfen, man wolle ja nicht missionieren, sondern auf Augenhöhe Dialoge führen – welche Ignoranz!Und schon sind wir bei den Kulturoptimisten. Alles Fremde ist einfach erst einmal toll! Da gibt es doch was zu entdecken, da werden wir Freunde und endlich wird unser Muff einer ewig gestrigen Kultur weggeblasen durch die herrliche, so offene, bunte und was weiß ich noch Kultur des (immer noch für Europäer eher sagenumwobenen) Orients.

Doch es kommen zu uns nach Deutschland Menschen, die unsere modernen Sitten einfach total missachten, die unsere Werte (wenn sie offen gehalten werden, scheinen wohl auch Ehebruch und Promiskuität dazuzugehören) verabscheuen. „Ihr Westler“, so sagte mir vor wenigen Tagen ein muslimischer Freund, „habt gar keine Kultur und Religion mehr, keine Sitte, keinen Anstand! Was Euch fehlt, und was im Namen Allahs richtig ist, das bringen wir Euch jetzt!“.

Seit fast 21 Jahren bin ich Ausländer. Ich werde fast täglich gefragt, warum ich denn eigentlich Christ wäre. Ich würde doch die wahre Religion kennen. Doch eben diese, meine Gastgeber, lassen mich atmen. Es gab und wird auch weiter geben: Angriffe auf die Minderheit der Christen hier im Lande Ägypten. Aber um des Lebens Willen kann es nicht anders sein, dass wir einander – ohne Angst! – begegnen.

Deutschland, Österreich und auch die Schweiz, um nur die deutschsprachigen zu nennen, sind derzeit Länder voller Fremdenangst! Das scheint besser, als das in aktiver Bedeutung benutzte Wort „Fremdenhass“. Angst vor Neuem und Fremden ist immer der schlechteste Ratgeber gewesen.

Auch heute sage ich noch meinen muslimischen Freunden: „Helft mir, euch zu verstehen!“ Und ich sage: „Mein Glaube besiegt alle Angst, denn selbst der Tod hat für mich jeden Schrecken verloren! Mein Glaube ist: Ein Mensch, Jesus, ist von den Toten auferstanden! Und er hat die Liebe des Einen Gottes zu allen Menschen gebracht, eine Liebe, die in den Tod geht, um zu retten…“

Und dieser Jesus hat von dem Fremden gesprochen, den man in Liebe aufnehmen soll. Damit hat er zunächst nichts anderes gemacht, als an die Überlieferung der Väter zu erinnern. Levitikus 19,33.34: „Wenn bei dir ein Fremder in eurem Land lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken. Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen. Ich bin der Herr, euer Gott.“
An dieser Stelle möchte ich verweisen auf gute Information zum Alten Testament und zu den Flüchtlingen: http://www.dei-verbum.de/du-sollst-den-fluechtling-lieben/

Jesus verschärft freilich in der Bergpredigt: „Liebet Eure Feinde, tut wohl denen, die euch hassen!“ (Mt 5,44 parr.) Welch ein Anspruch, wenn man sich darauf einlässt! Das wäre dann erst Christentum in der Unterscheidung von den beiden anderen monotheistischen Religionen! Manchmal werden meine muslimischen Gesprächspartner nachdenklich. Das „Anstößige“ am Christentum stößt eben zum Nachdenken an.

Aber auch ich werde nachdenklich, dank einer oft bereichernden Begegnung mit einem oder einer, die an eben diesen Einen Gott glauben – von dem dann ich glaube, dass er Mensch geworden ist.
Deutschland, bitte öffne Deine Türen: Nicht dem tumben Fremdenhass, nicht dem naiven „Alles-wird-gut“-Getue! Öffne Deine Türen für Herz und Verstand! Die Apokalypse hat noch Zeit….

Anm. der Redaktion:
Dies ist eine erweiterte Fassung eines Artikels im Debatten-Magazin „The European“, 2016:
http://www.theeuropean.de/joachim-schroedel/10787-deutschland-in-der-fluechtlingskrise