Eine neue Stadttour-App offenbart: Die Schweizer hatten bei mancher ägyptischen Attraktion die Hände im Spiel.
Hinter den Pyramiden geht eine rote Schweizer Sonne mit weissem Kreuz unter. Das ist das Logo der neuen App Swiss Trail. Ihre Spur führt entlang 20 Schweizer Sehenswürdigkeiten in der ägyptischen Hauptstadt Kairo. Gebäude, Geschäfte oder Gärten und die Persönlichkeiten dahinter werden kurz mit Texten, Bildern und Videos vorgestellt; eine Karte hilft, die Orte zu finden.
Zugegeben, die Pyramiden selber hat kein Schweizer erfunden, nicht einmal bei deren Bau nachgeholfen. Doch erstaunlich viele der zumindest angeschweizerten Attraktionen gehören zu den besten der Stadt. Sogar die Mohamed-Ali-Moschee, die auf einem Hügel über der Stadt deren Silhouette prägt, tut dies auch dank helvetischer Hilfe: In den 30er-Jahren wurde sie von ETH-Ingenieuren restauriert.
Die App führt des Weiteren zu einem Schweizer Club, in dem früher der König Bowling zu spielen pflegte, zum Grab Johann Ludwig Burckhardts, des Entdeckers Petras, und zu einem der schönsten Buchläden der Stadt: Lehnert und Landrock gehörte mehrere Jahrzehnte dem Kreuzlinger Kurt Lambelet. «Die Schweizer Präsenz in Ägypten war nicht nur Business», sagte Paul Garnier, der Schweizer Botschafter in Kairo, bei der Einweihung der App, «sie war seit jeher Teil der hiesigen Kultur und vermischte sich mit der ägyptischen Gesellschaft.»
Tessiner gründete eine der besten Patisserien im Orient
Die Pharaonen mögen dem Land die Pyramiden gegeben haben. Aber die Schweizer gaben den Ägyptern den Schlagrahm, das Stängeliglace und die Crèmeschnitte. Die renommierteste Patisserie des Orients, das Maison Groppi, ist nämlich von einem Tessiner gegründet worden. Der Konditor Giacomo Groppi verliess 1880 sein Heimatdorf Rovio, um sein Glück als Chocolatier in Ägypten zu versuchen. Wenige Jahre später eröffnete er seine eigenen Kaffeehäuser: zuerst in Alexandria, später in Kairo.
Vor allem der Hauptsitz am Talat-Harb-Platz in Kairos Downtown war jahrzehntelang ein Inbegriff für Genuss und Eleganz. In diesem Art-déco-Eckhaus bestellten Paschas Petits Fours, brüteten Politiker über Allumettes aux Anchois Revolutionen aus, wechselten Verliebte zu Langues de Chats scheue Blicke. Kaum ein Buch über die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts in Kairo kommt ohne eine Groppi-Szene aus. Und, wie die App in der schönen Rubrik «Side Stories» erwähnt: Im Film «The English Patient» trennt sich das Liebespaar in Groppis Garten.
Das Groppi sei nicht nur ein Café gewesen, betont Franco Groppi – der direkteste Nachfahre der Familie ist telefonisch in Genf erreichbar. Die Groppis betrieben ihre eigenen Farmen und Fabriken, sie produzierten vom Euter bis zur Theke. 500 Schweizer Kühe weideten auf einer Nil-Insel, Schweizer Kuhmilch floss in den Schlagrahm, der bis zu neunstöckige Hochzeitstorten zierte. Das Maison Groppi war Hoflieferantin – erst für das ägyptische Königshaus, später für jeden Präsidenten: Nasser, Sadat, Moubarak. Jacqueline Onassis kostete ihre Spezialitäten ebenso wie Richard Nixon.
Süsse Erholung im verkehrsgeplagten Downtown
Am schwarzen Samstag, dem 26. Januar 1952, zerstörte und brandschatzte ein Mob das Café Groppi. Viele Ägypter hatten genug von den Briten, genug von Ausländern. Aber nicht genug von Groppis Leckereien. 1979 fiel dem Haus gar das Catering des Jahrhunderts zu: die Verpflegung der 1000 Gäste, die zur Einweihung des Assuan-Staudamms eingeladen waren. Franco Groppi erinnert sich an Militärflugzeuge, die Groppi-Köstlichkeiten von Kairo nach Assuan herflogen, und die folgende achtstündige Kanalfahrt auf mehreren Schiffen.
1981 hatte der aktuelle Groppi-Besitzer César dann doch genug. Er verkaufte das Geschäft an eine ägyptische Familie, der viel Nähe zur Muslimbruderschaft nachgesagt wird. Aktuell wird der Hauptsitz renoviert. Offen ist eine zweite Branche mit Gartencafé, sie ist bis heute ein beliebter Erholungsort im verkehrsgeplagten Downtown.
Vom Groppi führt die App in nur wenigen Schritten zu einer weiteren Zeitkapsel aus dem Jahr 1893: zum Windsor-Hotel. Stühle aus alten Weinfässern, eine Holzbar und Gazellengeweihe an den Wänden erinnern an die Zeit, als die Briten sich hier Anfang des 20. Jahrhunderts in ihrem Gentleman’s Club trafen. Das Windsor war zuerst ein Badehaus, dann ein Annex des bekanntesten Hotels Kairos, des Shepheard-Hotels. Letzteres wurde am schwarzen Samstag abgefackelt, das Windsor blieb verschont. Fast alles ist noch original hier. Durch das Treppenhaus fährt der älteste funktionierende Schindler-Lift der Welt. Die Hotelmitbesitzerin, Marileez Doss Suter, könnte mit ihrer Perlenkette, der übergrossen perlmuttfarbenen Brille und dem sorgfältig zusammengenommenen Haar als Royalistin durchgehen. Sie ist Ägypterin, ihr Mann Schweizer.
Swiss Trail ist Walking Tour, Zeitreise und Spurensuche. Die App lohnt sich für Einheimische, für die 1500 Ägypten-Schweizer, für Touristen und sogar für Daheimbleibende. Virtuell durch Kairo zu spazieren, hat so seine Vorteile. Kein Smog, kein Verkehr, nur Schönes.