Das griechisch-römische Museum in Alexandria schloss im Jahre 2005 wegen Renovierung seine Pforten für Besucher. 15 Jahre später gibt es zu einer möglichen Wiedereröffnung nur vorläufige Angaben. Dabei gilt das 1895 eingeweihte Museumsgebäude mit seiner außergewöhnlichen Sammlung und einer 125jährigen Geschichte als eines der ältesten und wichtigsten Museen in der gesamten Mittelmeer-Region. Eine Vielzahl von Artefakten aus Alexandria und Umgebung zeugt von der griechischen und der späteren römischen Zeit, vom 3. Jahrhundert v. Chr. bis zum 3. Jahrhundert n. Chr.
Mein Vater, Badie Efendi Abd El Malek Ghattas, war von 1941 bis 1965 stellvertretender Direktor des Museums und meine Geschwister und ich hatten während unserer Kindheit öfter Gelegenheit, das Museum zu besuchen. Ich erinnere mich, dass mein Vater uns während der Feiertage und Schulferien zum Museum begleitete, damit wir die Altertümer der Stadt Alexandria und die altägyptische Kultur kennenlernen konnten. Mit der Erlaubnis des Museumsdirektors konnten wir mit Vaters eigener altmodischer Kamera viele Fotos aufnehmen. Wir besuchten fast alle Räume des Museums und bestaunten die Skulpturen aus der griechischen und römischen Kultur im Garten des Museums.
Dr. Badie Ghattas (links) mit Kollegen im Museumsgarten © Badie Ghattas
Mein Herz hängt an diesem besonderen Prachtstück der Kulturgeschichte in Alexandria und seinem Schicksal in den langen Jahren der Schließung im Jahre 2005. Wir hatten keine Ahnung, was passiert war und machten uns Sorgen, dass dieser kulturelle Schatz in Vergessenheit gerät. Sehr beunruhigt waren wir, als während der politischen Unruhen 2011-2013 um das Museum herum Gebäude in Brand gerieten. Mein Bruder Mena sammelte unermüdlich Informationen und schrieb Briefe an wichtige Persönlichkeiten, mit denen er auf das Museum im Dornröschenschlaf hinwies.
Unsere Nachforschungen ergaben, dass 2005 bis 2009 zunächst die gesamten Bestände des Museums inventarisiert wurden, bevor sie aus dem Museum ausgelagert wurden. Einige wichtige Denkmäler für die Geschichte der antiken Kunst wurden zwischenzeitlich im Museum für Antiquitäten in der Bibliotheca Alexandrina, andere im 2003 eröffneten Nationalmuseum von Alexandria ausgestellt. Erst 2018, dreizehn Jahre nach der Schließung, konnten wir Brüder aufatmen. Die Erneuerung des griechisch-römischen Museum gehört seitdem zu den wichtigen „nationalen Projekten“, deren Fertigstellung sich das Antikenministerium unter Minister El Enany 2018 vorgenommen hat. Im Februar 2018 begann die Neuentwicklung des Museums in Zusammenarbeit mit der Ingenieurbehörde der Streitkräfte. Nach dem Treffen zwischen dem Ministerium für Altertümer und dem Hohen Ausschuss für das Screening-Szenario und den Vertretern der Ingenieurbehörde am 7. August 2019 wurde der Juni 2020 für die Fertigstellung des Projekts „Griechisch-Römisches Museum in Alexandria“ festgelegt. Hierfür wurde ein beachtliches Budget bereitgestellt, das aber für alle diese Projekte nicht ausreichen wird und weitere finanzielle Spenden braucht. Gegenwärtig wird auch dieses Vorhaben unter der Gemengelage von finanziellen Engpässen und Corona leiden. Wir sind jedoch zuversichtlich und wappnen uns mit Geduld.
Das griechisch-römische Museum in Alexandria © Roland Unger
Nach der Renovierung soll das Museum zu einem wissenschaftlichen und kulturellen Zentrum der Mittelmeer-Kulturen werden. Es umfasst mehr als 30 Ausstellungsräume, einen Museumsgarten, ein Zentrum für die Erhaltung und Restaurierung der Antiquitäten, ein weiteres Zentrum für Münzforschung, ein Zentrum für wissenschaftliche Forschung mit Studien- und Konferenzräumen, eine Bibliothek und eine Druckwerkstatt, Multimedia-Räume sowie ein Zentrum für Museumspädagogik zur Entwicklung des archäologischen Bewusstseins von Kindern.
Die Stadt Alexandria und ihre kulturelle Bedeutung
Die Stadt Alexandria gilt als eine der Kulturhauptstädte der alten Welt, denn sie war ein Treffpunkt und eine Verbindung zwischen den großen Kulturen rund um das Mittelmeer.
In den Jahren 332/331 v. Chr. gründete Alexander der Große während seines kurzen Vorstoßes nach Ägypten die Stadt Alexandria mit ägyptischen und jüdischen Bezirken auf einem schmalen Hügelrücken zwischen Mittelmeer und Mareotis-See. Der griechische Architekt Deinokrates von Rhodos entwarf eine Stadt mit einer klaren Gesamtstruktur und rechtwinkligen Straßenzügen, ganz im Stil des antiken Staatstheoretikers Hippodamos von Milet, mit einem orthogonalen System aus gleichmäßigen und gleichgroßen Parzellen. Die makedonisch-griechische Dynastie der Ptolemäer unter Ptolemaios II. machte zwischen 285 und 246 v. Chr. Alexandria zu ihrer Residenzstadt. Bis Mitte des 7. Jahrhunderts n.Chr. entwickelte sich Alexandria zu einem der wichtigsten Zentren und geistigen Metropole der hellenistischen Welt und war fast 1000 Jahre Hauptstadt der Provinz Ägypten.
Geschichte der Archäologie in Alexandria
Archäologische Forschungen begannen in Alexandria gegen Ende des 18. Jahrhunderts unter Napoleon Bonaparte während seines Aufenthaltes in Ägypten 1798. In Begleitung der französischen Truppen befanden sich 167 Wissenschaftler, um eine umfassende Untersuchung und Dokumentation nicht nur der ägyptischen Altertümer und Denkmäler, sondern auch von Flora, Fauna und Gesellschaft durchzuführen. Diese Aktivitäten führten zur Gründung des Institut dʼÉgypte 1798 in Kairo, unter dessen Schirmherrschaft die erste öffentliche Sammlung der griechisch-römischen Altertümer in Alexandria 1859 im Tositsa-Palast - heute Sitz des griechisch-orthodoxen Patriarchats von Alexandria und ganz Afrika - entstand. Durch großzügige Spenden von Einzelpersonen wuchs die Sammlung. Als mehrere private alexandrinische Sammlungen in Museen nach Europa verbracht wurden und das Institut 1878 wieder nach Kairo zurückkehrte, veränderte sich die Bedeutung des Standorts in Alexandria. Zahlreiche Objekte, die in Alexandria, Naucratis, Antinopolis und Ptolemais gefunden worden waren, wurden in die griechisch-römische Galerie des neuen Museums für ägyptische Altertümer der Pharaonenzeit in Kairo überführt, das 1858 der Ägyptologe Auguste Mariette im Stadtteil Bulaq gegründet hatte und das 1902 in seinen Neubau am Tahrir-Platz umzog.
Von ägyptischer Seite begann das Interesse an der griechisch-römischen Ära ab 1866 während der Regierungszeit des Khediven Ismail. Mahmoud Pasha El-Falaki (1815-1885), ein ägyptischer Astrologe und Pionier der ägyptischen Renaissance hatte in Frankreich Astronomie und Geophysik studiert. Als Mahmoud El Falaki 1859 nach Ägypten zurückkehrte, führte er als erster zeitgenössischer Ägypter wissenschaftliche Forschungen über die Stadt Alexandria durch. Auf der Grundlage seiner Ausgrabungen erstellte er Karten von antiken Wahrzeichen, den Standorten ihrer alten Mauern, Paläste, Museen und Bibliotheken. Der Forscher gehört bis heute zu den großen Namen Ägyptens, eine Straße in Alexandria wurde nach ihm benannt. Im Jahr 1893 wurde die Gesellschaft für Altertümer in Alexandria unter der Schirmherrschaft von Khedive Abbas Hilmi II. gegründet, was das wachsende Interesse an der Geschichte und Archäologie Alexandrias belegt.
Die Entstehung des Griechisch-Römischen Museums in Alexandria
Die Entstehung des Griechisch-Römischen Museums in Alexandria geht zurück auf den italienischen Archäologen Giuseppe Botti, der 1884 als Leiter der dortigen italienischen Schule nach Alexandria kam. Botti beobachtete, dass die alexandrinischen antiken Funde ständig nach Kairo gebracht wurden, weil es kein Museum in der Stadt gab, um sie unterzubringen. Im Jahre 1891 begann er für ein eigenes Stadtmuseum zu werben. Dazu sammelte er einen Kreis interessierter alexandrinischer Bürger sowie den britischen Konsul in Alexandria, Sir Charles Cookson, um sich. Sie gründeten zunächst die Athenäum-Gesellschaft in Alexandria, die sich bei der alexandrinischen Stadtverwaltung erfolgreich für ein griechisch-römisches Museum einsetzte. Am 1. Juni 1892 wurde ein bescheidenes provisorisches Museum in der Rosetta-Straße, der heutigen El-Horriya-Straße, unter Schirmherrschaft des Khediven Abbas Helmy II. und des Service des Antiquités d’Egyptes unter der Leitung von Jacques de Morgan eröffnet. Bereits 1893 wurde für das Museum ein Neubau mit elf Räumen fertiggestellt und am 1. November 1893 für die Öffentlichkeit freigegeben. Schon nach kurzer Zeit konnten die Galerien des Museums die vielen Altertümer nicht mehr fassen, sodass es bereits 1894 Überlegungen gab, in ein neues Museum direkt hinter dem Gebäude der alexandrinischen Stadtverwaltung umzuziehen. Leopold Dietrich und Leon Stienon konzipierten und gestalteten einen Neubau und bereits im Juli 1895 wurde das neue griechisch-römische Museum in seinem heutigen Gebäude in der Al-Mathaf Al-Romani Straße in Anwesenheit des Khediven Abbas Helmy II., des osmanischen Hochkommissars Moukhtar Pasha Ghazi und den Konsuln mehrerer Länder eingeweiht und eröffnet.
Postkarte von dem neu eröffneten Museum
Infolge zunehmender archäologischer Aktivitäten und sukzessiver archäologischer Entdeckungen stieg die Zahl der Museumsräume 1899 von 11 auf 16. Seitdem wurde das Museum regelmäßig erweitert und im Jahr 2005 hatte es 27 Ausstellungsräume. Mehrere Alexandriner Privatsammler wie Glymenopoulos, Zizinia, Harris, Demetrios, Daninos und Antoniades steuerten Exponate bei und ließen die Sammlung auf über 4 000 Stücke anwachsen. Im Jahr 1905 spendete Prinz Omar Toussoun alle beweglichen Artefakte von seinem Grundstück in Abukir an das Griechisch-Römische Museum.
Dr. Badie Ghattas und Museumsdirektor Dr. Henry Ryad - ihre archäologischen Fundstücke füllen das Museum © Badie Ghattas
Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde die Sammlung des Griechisch-Römischen Museums in Alexandria vor allem durch Ausgrabungen ihrer Direktoren – wie Botti, Breccia, Adriani, Girghis, Ryad, B. Abd El Malek Ghattas und anderer – in Alexandria, im Delta, in Fayyum und Oberägypten weiter bereichert.
Pharaonenzeit und hellenistisch-römische Kultur verschmelzen
Mich persönlich beeindruckt schon von außen die neoklassizistische Fassade des Museums mit sechs Säulen. Darüber wölbt sich ein Giebel, in dessen Tympanon man die griechische Inschrift MOYΣEION für Museum lesen kann.
Tanagra - Skulptur - eine beliebte Grabbeigabe © Badie Ghattas
Im zur Zeit leider noch nicht zugänglichen Innern befinden sich 27 Galerien mit griechischen Statuen, Büsten römischer Kaiser wie etwa von Hadrian, der im 2. Jh. Ägypten regierte, Sarkophage, Mumien, griechischen Tanagra-Figuren – das sind Frauenfiguren aus Terrakotta, die als Grabbeigaben oder Glücksbringer im griechischen Tanagra hergestellt wurden - und frühchristlichen Artefakten. Zu den bemerkenswertesten Exponaten des Museums gehört eine riesige Granitstatue von Pharao Ramses II.
Mich haben während meiner vielen Besuche in den Galerien des Museums insbesondere Gegenstände aus der koptischen Zeit fasziniert, die in Alexandria gefunden wurden und die in den Räume 1 bis 5 ausgestellt waren.
Der Heilige Menas zwischen zwei Kamelbändern © Badie Ghattas
Darunter eine Marmortafel mit der Darstellung des Heiligen Menas zwischen zwei Kamelbändern, eine Basis einer Marmorstatue mit einem Text über die Reinigung des alten Alexandria-Kanals und eine Gruppe von Keramikgefäßen, die ägyptische Kunst in Form von Geflügel und Weidenkronen in Form von Weidenkörben darstellen.
Alabasterfigur des Guten Hirten © Badie Ghattas
Ein besonderes Beispiel der lokalen koptischen Kunst ist eine schöne Alabasterfigur des Guten Hirten, die Jesus Christus darstellt, der zwischen zwei Lämmern steht und das dritte auf seinen Schultern trägt. Die großen Augen und die flache, regelmäßige Robe sind eine Weiterentwicklung des koptischen Stils. Diese Statue wurde in Marsa Matrouh gefunden. Das Meisterwerk aus dem vierten bis fünften Jahrhundert nach Christus zeichnet sich durch Abstraktion, Symbolik und Raumfüllung aus.
Zu meinen Lieblingsexponaten gehören auch die Statue des Apis-Bullen, die unter Hadrian (117–138 n. Chr.) aufgestellt wurde und der Kopf der ptolemäischen Gottheit Serapis – gefertigt aus feinem weißen Marmor, dargestellt als eine Mischung aus Osiris und Apis, gefunden in der Nähe der Pompeius-Säule.
Im größten Museumsraum lassen sich römische Kranzsärge, zwei große Marmorstatuen der Götter Serapis und Herakles bewundern sowie eine riesige Statue, die wohl Kaiser Diokletian auf einem Thron sitzend darstellt.
Krokodiltempel @ Mena Abdel Malak
Gegenstände des täglichen Lebens präsentierte der Raum 18. Sie wurden von Frauen während der ptolemäischen Ära benutzt und zeigen die Bedeutung menschlicher Schönheit, des Frisurenstils, der Mode und der sozialen Klasse.
Museumsgarten mit Gästen © Mina Abdel Malak
Im Garten des Museums bestaunten wir Kinder die beiden Gräber - das erste aus der Zeit der Ptolemäer und das zweite aus der Römerzeit. Sie wurden im Viertel Souq al-Wardian im Westen Alexandrias gefunden und in den Garten des Museums transportiert. Außer meinen Lieblingsstücken gab es im Museum wunderschöne Mosaike, z.B. die mit farbigem Kies gestalteten Segelschiffe, welche als erste dieser Art gelten.
Mumien aus der römischen Zeit verdeutlichen, wie ägyptische Sitten von den römischen Herrschern adaptiert wurden. Weitere bemerkenswerte Artefakte wie die Statue des legendären griechischen Helden Herakles, zwei kopflose Sphinxe aus der 12. Dynastie sowie Statuen der Götter Venus, Apollo und Aphrodite zeigen, dass Götter und Darstellungen aus der pharaonischen Zeit sich mit denen der neuen Herrscher vermischten. Das Museum besitzt auch eine große Auswahl von Münzen aus verschiedenen Ländern, die aus der Zeit 630 v. Chr. bis in die osmanische Zeit im 19. Jh. stammen.
Das Griechisch-Römische Museum in Alexandria, dieses einzigartige Meisterwerk, wurde vor 125 Jahren in nur einem Jahr konzipiert und fertiggestellt. Möge es nach über 15 Jahren bald wieder seine Türen für viele Besucher öffnen. Ich bin sehr gespannt darauf, das Museum in seiner neuen, renovierten Gestalt besuchen zu können.