„Ein bewunderungswürdiges Organisationstalent, das in einem der verwahrlosesten und verwildertesten Ländern der Welt Ordnung und Sicherheit schuf.“
*Hermann Fürst von Pückler-Muskau, 1837
Die Moschee, die auf einem Ausläufer des Moqattam-Gebirges die ägyptische Hauptstadt weit überragt, lässt mit ihren zwei schlanken Minaretten und der großen Hauptkuppel an die Moscheen in Istanbul denken. Doch die Moschee ist keineswegs Wahrzeichen der türkischen Herrschaft in Ägypten. Vielmehr ist sie ein Symbol für einen Neubeginn, den der Erbauer der Gebetsstätte, Muhammad Ali, in Ägypten versucht hatte.
Die Zitadelle mit der Muhammed-Ali-Moschee © privat
Vorspiel mit Napoleon Bonaparte
Unerwartet wie ein Blitz aus heiterem Himmel fällt 1798 eine französische Armee in Ägypten ein. An deren Spitze steht ein junger General, der von dem Ruhm des Welteroberers Alexander des Großen träumt. Es ist Napoleon Bonaparte.
Die Armee geht am 1. Juli bei Abukir in der Nähe der Hafenstadt Alexandria an Land. Die Truppen treffen auf keinen nennenswerten Widerstand. Sie rücken auf Kairo vor. Am 21. Juli kommt es zu der berühmten Schlacht bei den Pyramiden, bei der die modern ausgerüsteten Franzosen die altertümlichen Mamluken-Reiter regelrecht abschlachten.
Indessen sind die europäischen Kontrahenten der Franzosen nicht untätig. Bereits am 1. August vernichten englische Kriegsschiffe fast die gesamte vor Abukir ankernde französische Flotte. In Kairo kommt es zu Aufständen. Nach einem gescheiterten Feldzug in Palästina verlässt Napoleon am 23. August 1799 fluchtartig seine Armee. Er kehrt nach Frankreich zurück. Die Türkei und England gewinnen in Ägypten die Oberhand. General Jacques-François Menou, dazumal Oberbefehlshaber der französischen Invasionstruppen, unterzeichnet am 2. September 1801 in Alexandria die Kapitulation. Am 15. Oktober verlassen die letzten französischen Soldaten Ägypten. Englische Schiffe bringen sie nach Toulun.
Muhammad Ali übernimmt die Macht
Muhammad Ali, der mit den türkischen Truppen nach Ägypten gekommen ist, übernimmt 1805 die Macht im Land. Der türkische Offizier albanischer Herkunft erzwingt 1807 den Abzug der englischen Armee aus Ägypten. 1811 bricht er endgültig die Macht der Mamluken im Land, als er am Ende eines Festes, zu dem er auf der Kairoer Zitadelle geladen hatte, mehrere Hundert Mamluken-Beys niederschießen lässt.
Das Massaker an den Mameluken - Gemälde von Horace Vernet © public domain
Mit Tatkraft und Weitblick modernisiert Muhammad Ali in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Ägypten nach europäischem Vorbild. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung gehen militärische Erfolge einher. Die ägyptische Armee erringt in mehrjährigen Kämpfen gegen die Wahhabiten die Herrschaft über die heiligen Städte Mekka und Medina. 1832 erreicht Muhammad Ali den Gipfel seiner Macht. Im ägyptisch-türkischen Krieg stürmt die ägyptische Armee unter Muhammad Alis Sohn, Ibrahim Pascha, von Sieg zu Sieg. Am 15. Juni 1832 nehmen die Ägypter Damaskus ein, einen Monat später Aleppo. Am 29. Juli siegen sie in der Schlacht von Alexandrette und marschieren in Anatolien ein. Der türkische Sultan Mahmud will mit einer neuen Armee die Entscheidung erzwingen. In der Schlacht von Konia werden die Türken erneut vernichtend geschlagen. Doch die Türkei erhält in den folgenden Jahren die Unterstützung europäischer Großmächte.
Portrait Muhammed Alis von Auguste Couder © public domain
Der Vizekönig verliert
Großbritannien will das Reich des türkischen Sultans erhalten. Es soll so stark sein, um ein Gegengewicht zu Russland zu bilden. Und so schwach, um die Interessen Englands rund um Indien nicht behindern zu können. Am 15. Juli 1840 schließen Großbritannien, Russland, Österreich und Preußen ein Bündnis. In dem Londoner Vertrag einigen sich die vier Mächte auf ein gemeinsames Vorgehen zum Erhalt des Osmanischen Reiches. Von Ägypten fordern sie die Rückgabe eroberter Gebiete. Als sich auch Frankreich von Ägypten abwendet, hat Muhammad Ali verloren.
Von seinen Plänen bleibt wenig übrig. Am 13. Februar 1841 wird ihm vom türkischen Sultan die Regentschaft über Ägypten bestätigt. Außerdem wird er mit der Regierung der Provinzen Nubia, Kordofan, Darfur und Sennar mit allen ihnen angrenzenden Regionen außerhalb der Grenzen Ägyptens „belohnt“.
1847 übergibt der erkrankte Muhammad Ali die Macht an dem ihm ebenbürtigen Ibrahim Pascha. Er muss allerdings noch erleben, dass sein Sohn bereits ein Jahr später stirbt. Muhammad Ali stirbt am 2. August 1849 in Alexandria. Seine letzte Ruhestätte findet der Herrscher in seiner Moschee auf dem Moqattam, hoch über Kairo.
Die Nachfolger Muhammad Alis verspielen sein Erbe. Ismail Pascha, ein Enkel Muhammad Alis, führt Ägypten in den Staatsbankrott. Nach einem Aufstand, mit dem sich die Ägypter unter dem Offizier und Politiker Ahmad Arabi gegen die immer größere Präsenz Englands und Frankreichs in ihrem Land wehren, besetzen 1882 englische Truppen das Land.
Muhammad Ali im Spiegel der Reisenden
Viele Reisende, die in Ägypten unterwegs sind, würdigen die Verdienste Muhammad Alis. Auch Hermann Fürst von Pückler-Muskau ist 1837 voll des Lobes für den Herrscher: „Er hat mit bewunderungswürdigem Organisationstalent in einem der verwahrlosesten und verwildertesten Länder der Welt Ordnung und Sicherheit, die ersten Bedürfnisse eines zivilisierten Staates, in einem solchen Grade herzustellen gewusst, dass man sein unermessliches Reich vom Taurus bis an die Grenzen Abessiniens, so weit sein Gebiet sich zwischen Meer und Nil und Wüste erstreckte, mit Gold beladen sicher und ohne Furcht durchziehen konnte, wo sonst jedem Schritt Beraubung und Tod drohte.
Er hat in der Ausübung der Justiz und in der Verwaltung innerhalb seines Gebietes mehr Gerechtigkeit und feste Norm eingeführt, als in irgendeinem anderen orientalischen Staate noch existiert.
Er hat den Fanatismus gebändigt, eine größere Toleranz in religiösen Dingen geübt, als in manchen christlichen Staaten stattfindet, und die Christen in seinen Ländern nicht nur beschützt, sondern selbst in einer Art bevorzugt, die fast zur Härte für die Muselmänner ward.
Er hat den Handel mit Europa nicht nur belebt, er hat ihn größtenteils neu geschaffen und durch die großartigsten Anlagen aller Art den in Ägypten gänzlich untergegangenen Sinn für Industrie wohltätig wieder erweckt.
[…] Er hat für die Bildung der künftigen Generation ein Erziehungs- und Schulwesen gegründet, von dem man vor ihm im Orient seit Jahrhunderten gar keinen Begriff mehr hatte, und ungeheure Summen, diesem edlen Zwecke geopfert.
Er hat mehr gebaut und mehr gemeinnützige Anstalten ins Leben gerufen als irgendein Beherrscher Ägyptens seit Saladins Zeiten.“
Muhammed Alis Hofstaat - Zitadelle Cairo © public domain
Herzog Maximilian, Schwiegervater des österreichischen Kaisers Franz Josef I., bewundert während seiner Ägyptenreise 1838 ebenfalls den Unternehmungsgeist Muhammad Alis. „In der Tat hat dieser wahrhaft große Mann in dem kurzen Zeitraume von wenigen Jahren das Unglaubliche geleistet. Und dabei ging er mit so vieler Umsicht zu Werke, mit solch’ seltener Klugheit und richtiger Auswahl seiner Untergebenen, dass man nur staunen muss, wie ein Mann, der doch in seiner Jugend gar keine Bildung genoss, solch’ großes, solch’ tätiges Interesse für Belehrung seines Volkes und die Befestigung und Zivilisation seines Reiches an den Tag legen konnte. […] Mehemed Alis Name wird einst mit Hochachtung im Buche der Weltgeschichte gelesen werden.“
Ida Pfeiffer nutzt 1842 die Zeit ihres Aufenthalts in Kairo auch für einen ausgedehnten Spaziergang auf der Zitadelle. Dabei wirft sie einen Blick in den Palast des Herrschers: „Der neue Palast Mehmed Alis ist ziemlich hübsch, die Einrichtung größtenteils europäisch. Die Zimmer, man kann sagen die Säle, sind ungemein hoch und zierlich ausgemalt oder mit Seidenstoffen, Tapeten usw. bekleidet. Große Wandspiegel vervielfältigen die Gegenstände, herrliche Diwane sind an den Wänden angebracht, und wunderschöne Tische, einige von Marmor, andere von eingelegter Arbeit oder mit Prachtgemälden verziert, stehen in den Zimmern, in deren einem ich sogar ein Billard fand. Der Speisesaal gleicht ganz einem europäischen. In der Mitte steht ein großer Tisch, an der einen Wand zwei Kredenzkästen, an der andern schöne Sessel. In einem der Zimmer hing ein Ölgemälde, das Bildnis seines Sohnes, des Ibrahim Pascha.
Dieser Palast ist von einem kleinen Garten umgeben, der sich aber weder durch besondere Gewächse noch durch schöne Anlagen auszeichnet. Die Aussicht von einigen Zimmern sowohl als auch vom Garten aus ist wunderschön.
Gegenüber dem Palast wird eine große Moschee gebaut, welche sich Mehmed Ali als Grabesstätte errichten lässt. Vermutlich muss er noch auf manches Lebensjahr rechnen, denn noch viel und lange muss gearbeitet werden, um diesen schönen Bau zu vollenden.“
Jean-Jacques Ampère würdigt in seinem1868 erschienenen Buch „Voyage en Égypte et en Nubie“ die Toleranz Muhammad Alis: „Im Mittelalter war die Duldsamkeit in den muslimischen Ländern größer als in der christlichen Welt, weil dort die Zivilisation in gewisser Hinsicht weiter fortgeschritten war. Heute ist das Gegenteil der Fall. Man hat die Toleranz aus Europa in den Orient verpflanzen müssen, der sie nicht mehr kannte. Die Franzosen haben deren ersten Steckling in Kairo eingepflanzt, Muhammad Ali hat ihn wachsen lassen. ‚Dank der Toleranz und des Liberalismus des Pascha – sagt M. Th. Parvie – gedeihen die Klöster in Kairo und man hört dort nun das dünne Läuten der Vesperglocke zur gleichen Zeit, zu der die Muezzins hochoben auf ihrer Moschee ihr Allah akbar singen.‘ Meiner Ansicht nach entspringt die Toleranz Muhammad Alis weniger einer ernsthaften Achtung vor der Gedankenfreiheit, als der Indifferenz, die bewirkte, dass er 1825 den Oberhäuptern aller Glaubensrichtungen Gebete vorschrieb, indem er sagte: ‚Es wäre ja wirklich von Übel, wenn sich unter so vielen Religionen keine gute befände.‘ Wie dem auch sei, die Ausländer können sich in den Straßen Kairos bewegen, ohne Beschimpfungen fürchten zu müssen, denen sie vor gar nicht langer Zeit noch ausgesetzt waren.“
Auch Georg Ebers würdigt in seinem 1886 erschienenen „Cicerone“ das Wirken des Vizekönigs: „Man hat den Sarkophag dieses großen Mannes mit Recht an der höchsten Stelle Kairo’s aufgestellt, und es drängt uns ihm gegenüber der folgenden Worte aus seinem Munde zu gedenken, welche deutlich zum Ausdruck bringen, was er gehofft und erstrebt hat: ‚Erst meine Enkel‘, sagte er, ‚werden einst ernten, was ich gesät habe. Wo eine so grundlose Verwirrung herrschte wie hier, wo eine so vollständige Auflösung aller gesunden Staatsverhältnisse stattfand, wo ein so ganz verwildertes, unwissendes, zu aller heilsamen Arbeit unfähiges Volk lebte – da kann die Zivilisation nur langsam wieder emporwachsen. Sie wissen, dass Ägypten einst das erste Land der Erde war, das allen übrigen voranleuchtete; jetzt ist es Europa. Mit der Zeit nimmt die Aufklärung vielleicht auch hier von Neuem wieder ihren Sitz. Es schaukelt ja Alles in der Welt auf und nieder!"
Der französische Schriftsteller und Marineoffizier Pierre Loti ärgert sich im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts bei einem Besuch der Moschee über die Ignoranz und Taktlosigkeit europäischer Besucher: „In einer dunklen Ecke ruht Mehemet Ali, abenteuerlustig und ritterlich, wie ein Held der Sage und einer der größten Monarchen der neueren Geschichte. Er ruht dort hinter dem hohen kunstvoll gemusterten Bronzegitter in dem noch so hübschen türkischen Verfallsstil seiner Zeit. Zwischen den vergoldeten Gitterstäben erblickt man im Dunkeln den dreigeschossigen Prunksarkophag, bedeckt mit köstlich verblassten Brokaten, die über und über mit erblindetem Golde bestickt sind. Vor der verschlossenen Tür dieses Grabbezirkes kreuzen sich zwei lange grüne Palmzweige, die frisch von einer nahen Dattelpalme geschnitten sind. Und das alles scheint von unentweihbarem religiösem Frieden umfangen … Da plötzlich lärmende Unterhaltung in teutonischer Sprache, schallende Stimmen und Gelächter! … Ist’s glaublich, hier in nächster Nähe des großen Toten? … Eine Horde Touristen erscheint, nach der Mode gekleidet, oder doch ungefähr. Ein Führer mit albernem Gesicht betet die Sehenswürdigkeiten her, mit schallender Stimme wie ein Ausrufer im Zirkus. Und eine der Besucherinnen lacht über die zu großen Überschuhe, in denen sie stolpert, lacht mit einfältigem fortwährendem Kichern, wie eine glucksende Pute …
Gibt es denn keinen Wächter, keine Polizei in dieser heiligen Moschee? Und keiner unter den Gläubigen, die betend am Boden liegen, erhebt sich und sagt ihnen seine Meinung? Wer will uns nun noch etwas von dem Fanatismus der Ägypter vorreden? Mir sind sie überall fast zu gutmütig erschienen. In jeder beliebigen Kirche Europas, wo Gläubige knien und beten, möchte ich sehen, wie man mohammedanische Touristen empfinge, die – wenn dies überhaupt möglich ist – sich so aufführten, wie diese Barbaren!“
Jürgen Sorge ist Autor und Herausgeber u.a. von: Die Moscheen von Kairo. Ein Lesebuch. Engelsdorfer Verlag 2011