Dem Entdecker der Nofretete, Ludwig Borchardt, wurden so einige Etiketten angeheftet. Besonders hartnäckig kleben bis heute die des Fälschers, des Tricksers und des Entführers der Nofretete. Die Verdienste des ersten Direktors des Deutschen Archäologischen Instituts in Kairo sind hingegen in den Hintergrund geraten.
Die Ägyptologin und Wissenschaftshistorikerin Dr. Susanne Voss durchforstete akribisch behördliche Akten und private Nachlässe. Ihre Arbeit* entlarvt Halbwahrheiten, Fehlinterpretationen und haltlose Vorwürfe.
Ausgebuffter Fälscher
Die Anschuldigungen gipfeln in der Unterstellung, Ludwig Borchardt habe die Nofretete-Büste anfertigen und im Wüstensand verbuddeln lassen, um sie sodann entdecken und ausgraben zu können. So stellen es u.a. zwei Historiker, der Schweizer Henri Stierlin und der Berliner Erdogan Ercivan, in ihren vor einigen Jahren Aufsehen erregenden Büchern dar. Letzterer behauptete sogar, Borchardts Frau habe für Nofretetes Antlitz Modell gestanden. Ein Verdacht, der für Susanne Voss schlichtweg ins Reich der Legenden und Verschwörungstheorien gehört, denn es "reicht ein kurzer Blick auf veröffentlichte Fotos von Emilie Borchardt, um zu erkennen, dass sie mit Nofretete nicht die geringste Ähnlichkeit hatte." Aber natürlich seien die Fakten langweiliger als die Vorstellung, dass eines der berühmtesten Kunstwerke der Welt, dass jährlich von Millionen von Touristen bewundert werde, eine Fälschung sei, erklärt die Historikerin die Hartnäckigkeit des Fälschungsverdachts.
Emilie Borchardt (re) auf der Terasse ihrer Villa auf Zamalek © Schweizerisches Institut für Ägyptische Bauforschung und Altertumskunde in Kairo
Ausgefuchster Regisseur
Ganz unschuldig war Ludwig Borchardt am Aufkeimen dieser wilden Spekulationen allerdings nicht. Er selbst setzte die Saat. Denn der ungeheure Zufall, dass die „bunte Königin" – wie Borchardt die Büste in seinem Grabungstagebuch nannte – am Nikolaustag 1912 ausgerechnet im Beisein des Prinzen Johann Georg Herzog von Sachsen und seiner Entourage entdeckt und medienwirksam gehoben wurde, ließ immer wieder Zweifel an Borchardts Aufrichtigkeit sprießen.
Doch statt des Fälscher-Etiketts dürfte Borchardt treffender das Label eines Meisters der Inszenierung verdienen. Denn vermutlich, so Susanne Voss, hatten seine Mitarbeiter die Nofretete zwar schon am Vortag entdeckt, aber sie warteten mit der Bergung auf ihren Chef und die für den 06. Dezember 1912 angemeldete prinzliche Gesellschaft. „Da Borchardt üblicherweise erst auf Fundmeldungen von Kairo hin zum Grabungsort reiste, wäre diese Chronologie der Ereignisse durchaus schlüssig", erklärt sie. Und auch ein von Borchardt für seine Frau verfasstes Gedicht, legt das Bild vom ausgefuchsten Regisseur näher als das eines Fälschers. Mit der Anmerkung, er habe die letzten drei Zeilen vor Monaten als „Dienstanweisung" entworfen, schrieb er: „Kommt wo was raus ⁄ bring´s gleich ins Haus ⁄ wo´s sicher liegt und geborgen ⁄⁄ Doch naht ein Prinz ⁄ dann find´s ⁄ erst morgen."
Gewiefter Trickser
Aber hat der Entdecker der Nofretete auch bei der Fundteilung gemogelt und die Büste widerrechtlich nach Deutschland entführt? Erste Gerüchte dieser Art verfingen im Sommer 1924. Seitdem wird heftig darüber spekuliert, was am 20. Januar 1913 beim Teilen der Armana-Artefakte geschah. In Kairo war zunächst nur von einem „schlimmen Streich" die Rede, erst später von Täuschung und Raub.
Während das ägyptische Antikenministerium die Fundteilung zugunsten der Deutschen lediglich als einen „Irrtum" bezeichnete, der korrigiert werden müsse, bevor neue Grabungsgenehmigungen erteilt würden, startete die ägyptische Presse eine Rückforderungs-Kampagne - an vorderster Front al-Ahram, damals das einflussreichste Sprachrohr der ägyptischen Unabhängigkeitsbewegung von 1919. Die Deutschen, so schrieb die Tageszeitung, hätten indem sie die Büste „auf eine merkwürdige Weise äußerlich veränderten", die Nofretete „geraubt".
Ziel der Berichterstattung sei jedoch weder die Aufklärung des Sachverhalts noch die Rückgabe der Statue gewesen. Es sei vielmehr versucht worden, das “Versagen der europafreundlichen jungen ägyptischen Monarchie" an den „Pranger" zu stellen, so Susanne Voss. Denn König Fuad I. hatte sich 1922 ausgerechnet mit Unterstützung der britischen Kolonialherren zum Herrscher ausgerufen. Die für die Unabhängigkeit Ägyptens kämpfende nationalistische Wafd-Partei hatte er bei der Regierungsbildung schlichtweg übergangen und den ägyptischen Staat damit in eine innenpolitische Zerreißprobe gestürzt. Mit ihren lautstarken Rückforderungen ägyptischen Kulturerbes und der Kritik an der Antikenverwaltung suchten die Nationalisten vor allem die Autorität der neuen Regierung in Frage zu stellen.
Aber auch Ludwig Borchardt selbst trug gehörig zur Eskalation der Affäre Nofretete bei. Mit seiner Überheblichkeit, seiner zur Schau getragenen Überzeugung, der bessere Gelehrte zu sein, brachte er den Antikenminister persönlich gegen sich auf. „Es war seine Unverfrorenheit, mit der er sich in der 1923/24 erschienen Monografie rühmte, den historischen und künstlerischen Wert der Nofretete sofort erkannt zu haben", verdeutlicht Susanne Voss. Mit dieser „Dreistigkeit" hatte er die Fachkompetenz des ägyptischen Antikenministeriums öffentlich diskreditiert.
Ludwig Borchardt in seiner Kairener Wohnung in der Sharia Zaki, undatiert, um 1899 © Schweizerisches Institut für Ägyptische Bauforschung und Altertumskunde in Kairo
Gründungsvater der deutschen Ägyptologie in Ägypten
Einzig die Nofretete-Affäre beschert Ludwig Borchardt bis heute ab und zu ein wenig öffentliche Aufmerksamkeit. Dabei ist Borchardt der Gründungsvater der deutschen Ägyptologie in Ägypten.
Ludwig Borchardt wurde am 5. Oktober 1863 in Berlin geboren. Er studierte Ägyptologie und absolvierte mit 29 Jahren die Prüfung zum „Königlichen Reg. Baumeister für das Hochbaufach". Nur zwei Jahre später entsandte die Preußische Akademie der Wissenschaften den jungen Bautechniker und Ägyptologen erstmals nach Kairo. Am 05. August 1907 wurde er zum ersten Direktor des „Kaiserlich Deutschen Instituts für ägyptische Altertumskunde in Kairo" berufen. Seine Aufgabe war es, der deutschen Ägyptologie Weltgeltung zu verschaffen sowie für die Berliner Museen wertvolle Artefakte zu finden.
Direktor eines Kaiserlichen Papiertigers
Das hochtrabend benannte „Kaiserliche Institut" war allerdings die ersten zehn Jahre ein reiner Papiertiger. Neben dem Direktor, Ludwig Borchardt, gab es nur einen Assistenten und das zweiköpfige Institutspersonal musste mit einem Budget auskommen, das hinten und vorne nicht reichte. Die Diensträume befanden sich in Ludwig Borchardts privater Villa und den größten Teil der Institutserfolge hatte er entweder privat bezuschusst oder wie alle seine Ausgrabungen mit Hilfe großzügiger Geldgeber finanziert. Borchardt setzte alles daran, dem Zwei-Mann-Institut den Schein einer ernst zu nehmenden Konkurrenz für die französisch und britisch dominierte Ägyptologie in Kairo zu geben.
Dabei half Borchardt vor allem seine Heirat. 1903 hatte er die vermögende Emilie Cohen geehelicht und konnte sich von da an in Kairos Gesellschaft wie ein Diplomat präsentieren. Dass die Institutsvilla im Nobelviertel Zamalek dabei ebenso wenig Reichsbesitz war, wie die von ihm bewohnte Privatvilla nebenan, wussten nur die wenigsten in der Kairener Gesellschaft. Doch Borchardt hatte kein Interesse derartige Missdeutungen aus dem Weg zu räumen.
Top-Ägyptologe und Bauforscher
Im Januar 1907 begann der frisch gebackene Direktor Borchardt mit den Ausgrabungen in Tel Amarna. Die Hauptstadt von Pharao Echnatons Reich versprach wertvolle Artefakte für die preußischen Museen und der Berliner Fabrikant James Simon schoss das nötige Kapital zu.
Im Dezember 1912 stieß das Grabungsteam in der Werkstadt des Bildhauers Thutmosis schließlich auf die heute weltberühmte Büste. „Arbeit ganz hervorragend. Beschreiben nützt nichts, ansehen", rühmte Borchardt das Abbild von Königin Nofretete in seinem Tagebuch. Der folgende Trubel um die „Schöne" überschattet seither Ludwig Borchardts Leistung als Ägyptologe und Bauforscher.
Dabei war die Arbeit in Tel Amarna für die deutsche Ägyptologie ein echtes Novum. Denn Borchardt wollte erforschen, wie die Ägypter der 18. Dynastie lebten und wohnten. Er wollte das gesamte Areal untersuchen und sich nicht auf Sakralbauten oder spektakuläre Funde beschränken. In Borchardts Augen war die Jagd nach museumstauglichen Artefakten und das in der Zunft vorrangig verfolgte Interesse an der Entzifferung von Grabinschriften eine der gravierendsten Schwächen der Ägyptologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. „Er war der erste, der die Bedeutung der Bauforschung für die Ägyptische Altertumskunde erkannt und auch entsprechend gearbeitet hat“, so Cornelius von Pilgrim, Direktor des Schweizerischen Instituts für ägyptische Bauforschung und Altertumskunde in Kairo.
Borchardt vermaß also nicht nur Tempel und Gräber, sondern auch die einfachen Behausungen am Rand der Ausgrabungsstätten. Als erster Ägyptologe hielt er Ziegel für Ziegel den Aufbau der Lehmquartiere in Tel Amarna aus dem 14. Jahrhundert v. Chr. fest, verglich reiche Wohnhäuser mit armen. Er publizierte und hielt Vorträge über das altägyptische Bauhandwerk und schenkte selbst kleinsten Details seine fachmännische Aufmerksamkeit. „Im Allgemeinen arbeitet der ägyptische Maurer mit gut gefüllten Fugen, wenn auch gelegentlich weniger sorgfältige Arbeit vorkommt“, referierte er beispielsweise vor dem Berliner Architekten-Verein 1916.
Auch der Catalogue de Générale des Ägyptischen Museums wäre ohne Ludwig Borchardt zu Beginn des 20. Jahrhunderts wohl nicht verfasst worden. Denn er begann 1896 die wichtigsten Skulpturen des Alten Reiches zu dokumentieren und initiierte die Erfassung des umfassenden Bestandes des Museums in Kairo in dem gedruckten mehrbändigen Katalog.
Nofretete © SMB Ägyptisches Museum und Papyrussammlung, Foto: Sandra Steiß
Vier Jahre Krieg – Das Ende der goldenen Jahre
Mit Ausbruch des 1. Weltkrieges 1914 mussten Borchardt und das Institut eine fast zehnjährige Zwangspause einlegen. Erst 1923 hielt er die Genehmigung für die Wiedereröffnung des Instituts und damit für seine Rückkehr nach Ägypten in den Händen.
Doch die goldenen Jahre für Ägyptologen am Nil waren vorüber. Im nun unabhängigen Ägypten hatten ein verschärftes Antikengesetz und ein weitreichendes Grabungs- sowie Ausfuhrverbot neue Arbeitsbedingungen geschaffen. In Vorkriegszeiten unvorstellbar, galt nun die Devise: „Die ägyptische Kunst den Ägyptern!"
Vor diesem Hintergrund verfingen im Sommer 1924 – ganze zwölf Jahre nach der Entdeckung der Nofretete – denn auch die ersten Gerüchte über Gemauschel bis hin zum Gerede vom Raub der Büste. Dass ihre Ausfuhr nach Vorschriften der Vorkriegszeit rechtens war, wie selbst die ägyptische Regierung zugab, wollte man in weiten Kreisen der Altertümerverwaltung und in den Medien nun nicht mehr gelten lassen. Die Causa Nofretete wurde zum deutsch-ägyptischen Politikum.
*Susanne Voss: Die Geschichte der Abteilung Kairo des DAI im Spannungsfeld deutscher politischer Interessen. Band 1, 1881 - 1929