Traumjobs, Haie und ein von Tauchern bedrohtes Schiffswrack zwischen Sharm el Sheik und den Brother Islands.

27.Oktober 2016, 6.05 Uhr.
Samuel Samir presst seinen linken Fuß ans rechte Knie, hebt den linken Arm, schaut auf seine Uhr, schaut zur Tür, schaut in die Runde. Zehn Fremde in T-Shirts und Shorts sitzen auf Sofas und in Sesseln, nippen an ihrem Kaffee oder Tee und sehen ihn erwartungsvoll an. Der TV-Bildschirm neben ihm an der Wand zeigt die Karte eines Riffs. Alles ist bereit. Aber noch fehlen Volker und Alex. Samuel muss warten, bis alle da sind.

„Good Morning", tönt es endlich von der Treppe aus dem Kabinendeck. Volker und Alex wirken verschlafen, schnappen sich noch schnell einen Lipton- Teebeutel und lassen dampfendes Wasser in ihre Tassen. Samuel stellt seinen linken Fuß zurück auf das Schiffsparkett in der Messe. Es kann losgehen, das Briefing für den ersten Tauchgang am Riff des Großen Brother – einem der besten Tauchplätze weltweit.

Samuel Samir © Yvonne Krause

Der 41jährige arbeitet seit 16 Jahren als Tauch-Guide für die „King-Snefro-Flotte". Wie viele Taucher er schon zu diesem Riff begleitet und ihnen zuvor die Karte auf dem TV-Screen gezeigt hat, hat er nicht mitgezählt. „Wichtig ist, dass alle da sind. Jeder Tauchgang beginnt mit einem Briefing. Für die Sicherheit", erklärt er.

Big Brother Island © Yvonne Krause

Die 60 Kilometer vom Festland entfernt aus dem Meer aufragenden Brother Islands sind wild. Die Strömungen rund um die kahlen Felsen unberechenbar. Aus diesem Grund erklärt Samuel besonders genau, wie die Tauch-Gäste sicher zum 30 Meter tief gelegenen, mit Korallenhügeln bedeckten Plateau hinunter gelangen können. „Wir haben eine Leine am Bug, die auf ca. 20 Meter am Riff befestigt ist. Sobald ihr im Wasser seid, schwimmt hinüber! Zieht euch daran hinunter, denn die Strömung an der Oberfläche ist sehr stark. Deshalb müsst ihr auch schnell abtauchen."

Nach zehn Minuten ist alles gesagt: Dass es hier Hochseehaie zu sehen gibt. Dass das Motorschlauchboot in der Strömung abgetriebene Taucher bergen wird. Dass je nach Strömung der Rückweg zur Yacht wieder an der Bug-Leine erfolgen sollte. Am Ende des Briefings teilt Samuel die elf Gäste in kleine Gruppen auf und bestimmt je einen Guide. „Ich wünsche euch viel Spaß!", ruft er der aufs Tauchdeck hinaus strömenden kleinen Truppe hinterher.

10 Stunden Fahrt liegen hinter Samuel, der Crew und den zwölf Tauch-Gästen an Bord. Gestern Abend sind sie losgefahren von Ras Mohamed bis zu den Brother Islands. Zwischen der Südspitze des Sinai und den beiden Inseln liegen rund 230 Kilometer. Starker Seegang, mit Wellen von bis zu zweieinhalb Metern Höhe, hat die meisten Gäste um ihren Schlaf gebracht. Für Samuel hingegen ist das Leben, Arbeiten und Schlafen auf hoher See ein wahr gewordener Traum.

Vom Küchenjungen zum Tauch-Guide

Bis zu seinem 20. Lebensjahr hatte er stets festen Boden unter den Füßen, während seines Englischstudiums und auch im ersten Job als Lehrer im südlich von Alexandria gelegenen Tomia. Aber er beobachtete schon immer gern vom Haus seiner Eltern die in der Ferne vorbeifahrenden Hochseefrachter. „Ich habe das sehr geliebt. Mich haben die Schiffe und das Meer immer fasziniert. Ich wollte unbedingt auf einem Schiff leben und arbeiten. Und dann habe ich die Entscheidung getroffen Tauch-Guide zu werden", erzählt er mit leuchtenden Augen.

Seitdem fährt er für das von Sharm el Sheik aus operierende Unternehmen übers Rote Meer. Angeheuert hat er zunächst in der Kombüse und im Service. „Ein nicht unüblicher Einstieg in Ägypten für angehende Tauchlehrer bei den großen Safari-Unternehmen", so Samuel. An Bord machte er seinen ersten Tauchkurs und nach 500 Tauchgängen ließ er sich zum Tauchlehrer ausbilden. „Mir ist Sicherheit sehr wichtig. Deshalb habe ich erst sehr viel Erfahrung sammeln wollen, bevor ich die Verantwortung als Guide übernehmen wollte."

Auch wenn der Wind, wie heute, mit 25 Knoten Stärke an seinen Haaren reißt, und sich die Planken unter seinen Füßen um fast zwei Meter von hinten nach vorn und zugleich von rechts nach links mit den Wellen heben und senken; bereut hat er seine Entscheidung bislang nicht. Jedes Jahr von März bis November führt er Taucher aus der ganzen Welt in den Arabischen Golf und zu den Brother Islands. Das Festlandleben vermisst er nicht, verbringt aber seinen dreimonatigen Urlaub gern im Haus seiner Eltern am ägyptischen Mittelmeerufer. „Schwierig ist nur eines", gibt er nachdenklich zu, „Beziehungen zu haben - eine Freundin, eine Frau - ist sehr problematisch. Nicht nur, weil ich so lange weg bin. Auch weil ich mit Leib und Seele meinen Job mache."

Hai vorm Frühstück

28. Oktober 2016, 6.05 Uhr
Routine: Der TV- Screen zeigt eine Riff-Karte, neun nicht mehr ganz so Fremde schlürfen verschlafen Kaffee oder Tee und schauen zu, wie Samuel wartet. Wieder sind zwei Taucher nicht pünktlich zum Briefing aus der Koje gekommen. Das Heck hebt und senkt sich mit den auch heute hohen Wellen. Jeder Schritt an Bord ist eine Herausforderung.

Schon gestern Abend hat die schwimmende Tauchbasis zum nur 800 Meter entfernten Small Brother übergesetzt. Zwei Leinen – eine am Bug und eine am Heck – halten das 37 mal 9 Meter große Schiff auf sicherem Abstand zum Riff. Sie sind in nur knapp einem Meter Tiefe in fest im Fels verankerten Stahlschlaufen verknotet. Denn die Brothers wurden 1998 zu einem geschützten Marinepark erklärt. Anderes Ankern ist streng verboten. „Wir setzen hier keine klassischen Anker. Denn, wenn jeder seinen Anker setzen würde, wo er meint, wäre das Riff der Brothers sehr schnell zerstört", klärt Samuel auf.

Schließlich hat die Hoffnung einen Hochseehai zu sehen, auch die letzten beiden Taucher aus ihren Betten getrieben. Und sie werden nicht enttäuscht. Am Ende des ersten Tauchganges schwimmt ein circa zwei Meter langer Weißspitzenhai, begleitet von einer Truppe Putzerfische, auf die Taucher zu, wenig später noch zwei weitere. Neugierig kommen sie immer wieder näher. Die Taucher – Deutsche, Österreicher und Portugiesen – sind begeistert. Wer noch Luft in der Flasche auf dem Rücken hat, bleibt bis zum letzten Atemzug im Wasser, beobachtet, fotografiert und filmt die grauen Raubfische.

Trotz unzähliger Tauchgänge jährlich, Haie so nah bestaunen zu können, ist auch für Samuel und seinen Kollegen Ahmed Abou El Ftouh eher selten. Denn nur wenn Strömung und Wind an den Brothers stark und wild sind, kommen die Raubfische so nah zum Riff und lassen sich hier von anderen Fischen reinigen.

1. November 2016, 6.05 Uhr
Routine: Der TV-Screen zeigt eine Wrack-Karte, elf nun nicht mehr fremde Männer und Frauen trinken verschlafen Schlückchen für Schlückchen Kaffee oder Tee und schauen erwartungsvoll zu Ahmed Abou El Ftouh. Alle sind pünktlich zum Briefing. Vor drei Tagen hat die Besatzung die Leinen an den Brother Islands eingeholt und nun schaukelt das Safari-Boot über dem Wrack der berühmten „Thistlegorm“ nahe Sharm el Sheik – endlich geruhsam – auf dem Roten Meer.

Ahmed Abou El Ftouh © Yvonne Krause

Ahmed, der zweite Guide an Bord, arbeitet zwar erst seit kurzem als Tauchgruppenführer, aber schon sechs Jahre für die Flotte. Der einstige Jurastudent hat, wie Samuel, im Service angefangen. „Die vier Jahre an der Universität waren die größte Zeitverschwendung meines Lebens. Ich habe das Studium nur meiner Familie zuliebe abgeschlossen. Ich träumte schon in der Schule von einem Leben als Tauch-Guide, immer unterwegs, interessante Leute, tolle Tauchplätze sehen", so der 25-Jährige.

Kaiserfisch © Joao Carlos Silva

Souvenirjäger und Achtlosigkeit - eine Gefahr für die Unterwasserwelt

Zu diesem Leben gehört für die beiden Tauchführer auch der Einsatz für den Schutz der unzähligen Korallenriffe, Wracks und Tiere im Roten Meer. Bei drei Tauchgängen am Tag – sechs Tage in der Woche – sehen Samuel Samir und Ahmed Abou El Ftouh viel Zerstörung. „Das ist das einzige, was meine Arbeit schwer macht. Wenn ich sehe, welchen Schaden Taucher und Schiffsbesatzungen mitunter anrichten", reflektiert Abou El Ftouh selbstkritisch und ein bisschen resigniert.

Vor allem die fortwährende Zerstörung der „Thistlegorm“ bereitet den beiden große Sorge. Das 1941 von deutschen Bombern versenkte britische Frachtschiff liegt in einer für Taucher gut zugänglichen Tiefe von nur 30 Metern, eben auf sandigem Grund. Auf dem Frachtdeck stehen noch immer die einst für die Britisch-Indische Eisenbahngesellschaft bestimmten Waggons in Reih und Glied. Und in den offenen Ladeluken lassen sich dutzende historische Lastkraftwagen und Motorräder bestaunen. „In meinen Augen ist die Thistlegorm ein einzigartiges Unterwassermuseum. Ich will nicht das Tauchen hier verbieten, aber die Besucher müssen sich verhalten wie in einem richtigen Museum. Nichts anfassen und vor allem nichts mitnehmen. Und auch nicht das Gebäude beschädigen. An Land würde das niemand machen, aber hier passiert genau das", erläutert Ahmed Abou El Ftouh sein „Herzensanliegen".

Bis zu zehn Yachten bringen mitunter 200 Taucher täglich zu dem Wrack. Darunter einige Souvenirjäger, die Teile der LKW, Motorräder oder Schiffswand abbrechen und mitnehmen. Doch die größte Zerstörung richten bis heute wahllos am Wrack befestigte Ankerleinen an. Und das obwohl die zuständige Behörde, die „Hurghada Environmental Protection and Conservation Association“, schon 2007 im Rahmen einer Kampagne „Rettet die Wracks im Roten Meer" ein System von sicheren Ankerschlaufen gesetzt hat.

Auf der „Snefro Target“ ist Samuel Samir für das Festmachen der Leinen an dem altehrwürdigen Wrack verantwortlich. Deshalb macht er heute kein Briefing, sondern taucht allein die 30 Meter hinunter und bindet die Taue an den dafür vorgesehen Schlaufen mit Schiffsknoten fest. Als lästige Pflicht empfindet er diese Aufgabe aber nicht im Geringsten. „Das Festmachen der Leinen macht mir richtig Freude. Da bin ich allein, muss auf niemanden aufpassen. Ich liebe diese einsamen Tauchgänge. Und ich kann sicher sein, dass wir uns an die Ankervorschriften halten."

Wenn Ahmed und Samuel mit Gästen an der „Thistlegorm" tauchen, dokumentieren sie nebenbei falsch gelegte Ankerleinen. „Ich habe es heute wieder gesehen. Ein richtig großes Stück Stahlwand schwebte nur wenige Meter von mir durchs Wasser", berichtet Ahmed sichtlich aufgebracht. „Es hing an der Ankerleine von der Yacht gegenüber. Sie haben einen ganzen Quadratmeter Schiffswand herausgerissen, weil sie einfach ihre Leinen an der Reling des Wracks befestigt haben." Ihre Fotos von regelwidrig befestigten Ankerleinen und Yachten posten die beiden dann auf Facebook unter dem Aufruf: „Saving SS Thistlegorm“.

Nach zwei Tauchgängen macht Samuel die Taue wieder los und die Besatzung holt die Leinen ein. Morgen ist die siebentägige Safari von Sharm el Sheik zu den Brother Islands und zurück beendet. Nur noch drei Riff-Karten bleiben zu zeigen, nur noch drei Mal abzutauchen, dann gehen die zwölf nun fast Freunde von Bord und 18 Fremde werden kurz darauf die Kojen beziehen – um auf Safari im Roten Meer zu gehen.