- von einer, die auszog und ihre Sehnsucht ins Leben umsetzte
Der Weg in den orientalischen Zaubergarten
Sechs überdimensionale aber verblüffend filigrane Scherenschnitte schweben in der Ausstellungshalle. Sie sind den bekannten persischen Miniaturmalereien von Chosraw und Shirin, einem berühmten mittelalterlichen Liebespaar in der orientalischen Dichtung nachempfunden; ein Äquivalent zu Romeo und Julia in der westlichen Dichtung.
„Lerche und Nachtigall – ein orientalischer Zaubergarten“, so heißt die Ausstellung von Scherenschnitten der Künstlerin und Autorin Marianne Manda, die am 17. Januar 2023 an der Deutschen Evangelischen Oberschule in Kairo eröffnet wurde.
„Dieser ganze Zyklus ist meine Verbeugung vor orientalischer Kunst, verbunden mit meiner großen Bewunderung“, bekennt Marianne Manda bei der Eröffnung ihrem Publikum.
Scherenschnitt Chosraw und Shirin von Marianne Manda©Marianne Manda
Der Titel ist die Brücke zwischen Orient und Okzident, der Weg, in den orientalischen Zaubergarten. „Es war die Nachtigall, und nicht die Lerche, die eben jetzt dein banges Ohr durchdrang“. Es ist dieses Zitat aus Shakespeares Romeo und Julia, der berühmtesten Liebesgeschichte des Okzidents, das Marianne Manda zu dem Titel inspirierte für ihre Reihe von wundersam filigranen Scherenschnitten zu der aus Persien stammenden und im Orient berühmten Liebesgeschichte von Chosraw und Shirin. Die Nachtigall, die für die heimliche nächtliche Liebe und das Zusammensein der Liebenden steht. Sie finden durch den Gesang der Lerche, die den Tag und damit Abschied und Trennung der Liebenden ankündigt, ein schmerzliches Ende.
Das noch bekanntere Liebesgedicht von Laila und Magnum wurde im 7.Jahrhundert von dem Beduinen-Dichter Qays ibn al-Mulawwah verfasst, um seine hoffnungslose und verzehrende Liebe zu Layla bint Mahdi auszudrücken. Diese Form der ideellen Liebe wurde auch im Minnegesang des Mittelalters in Europa verehrt. Im Gegensatz dazu erfüllt sich die Geschichte von Chosraw und Shirin, die auch zu den großen orientalischen Liebespoesien gehört. Allerdings musste das Paar viele Jahre der Prüfung und Reifung überstehen. Aber sie fanden schließlich zusammen. Ihre Sehnsucht und Hoffnung erfüllte sich als die Vollendung einer idealen, wahren und unsterblichen Liebe.
Die Künstlerin wählte die Schlüsselszenen aus dem Zaubergarten der orientalischen Poesie als Ausgangspunkt für ihre Arbeit und fertigte aus den Miniaturen Scherenschnitte in zehnfacher Vergrößerung von 150 x 92 cm.
Marianne Manda ist bildende Künstlerin, Performances mit eingeschlossen©Marianne Manda
„Ich bin bildende Künstlerin. Das heißt: Ich stelle Bilder her, Objekte, Installationen. Ich performe aber auch in dieser Disziplin mit mir selbst und gerne und viel mit Feuer. Ich lasse mich von Kränen oder Gebäuden oder dergleichen abseilen, indem ich mit der bildenden Kunst die Theaterperformance verbinde.“
In ihrem Brotberuf ist sie archäologische Zeichnerin aus Leidenschaft. Seit 40 Jahren fertigt sie für das Deutsche Archäologische Institut wissenschaftliche Zeichnungen bei Ausgrabungen im Jemen, in den Emiraten, Syrien, der Türkei, Äthiopien und Ägypten an. Ihre Spezialität sind filigrane winzige Arbeitstechniken, mit denen sie seit vielen Jahrzehnten archäologische Funde dokumentiert. Hunderttausende Pünktchen bilden unterschiedliche Linien und Flächen, die z.B. einem Räuchergefäß aus Ton seine dreidimensionalen Konturen geben.
Wasserspeier als Stierkopf, archäologische Zeichnung von Marianne Manda©Marianne Manda
Auch ihre künstlerischen Bilder gehören meist in die Kategorie der Grafik. Im engeren Sinne sind das Zeichnungen. Sie arbeite gerne mit der Linie und stelle ein Motiv damit in vereinfachter Weise mit Linien und Strichen dar. Es sind zweidimensionale Darstellungen, die mit Schraffuren oder verdichteten Strichen und Pünktchen einen räumlichen Charakter erwecken können.
FAMILIE 1,5 x 3 m, Kreidezeichnung von Marianne Manda©Marianne Manda
Ihre Scherenschnitte entstanden mit einem Skalpell, mit dem sie aus schwarzem Tonpapier das Unwesentliche ausschnitt. „Ich habe nur das stehenbleibende Material in Schwarz und die Luft dazwischen. Das ist die radikalste Reduzierung im Darstellen von Menschen, Tieren, Gegenständen und geographischen Gegebenheiten.“ Bei ihrem Zyklus aus dem orientalischen Zaubergarten will sie vor allem die Linien und Formen nachempfinden, die vor Hunderten von Jahren ein Lebensgefühl ausdrückten. „Hauptsächlich sind es Menschen und Tiere in Gärten. In Gärten mit Bäumen und Blumen und weiteren Pflanzen. Meine Gärten und Menschen sind erstarrt. Keine Emotionen sind sichtbar, nur unsichtbare Sehnsucht, die in damaliger Zeit, und im Orient auch heute noch, einen großen Raum einnimmt. Die freie Liebeswahl war höchstens ein Privileg für Wenige. Vor allem im Adel wurde von den Vätern darauf keine Rücksicht genommen. Was bleibt, ist das sich Sehnen, das sich Verzehren, das Hoffen.“
Linien und Formen, die vor Hunderten von Jahren ein Lebensgefühl ausdrückten©Marianne Manda
Auch wenn sie die Emotionen „ausschneidet“ und damit der unsichtbaren Sehnsucht Raum gibt, schafft sie bei der Ausstellung durch traditionelle ägyptische Malas-Stoffe im Hintergrund eine warme, eine weibliche Atmosphäre. Durch die Glasfenster, in dem sich die Scherenschnitte befinden, öffnet sich der Blick zu den sich suchenden und findenden Liebenden.
Bei ihrer 40-jährigen Arbeit auf Ausgrabungsstätten mit Fundstücken aus jahrtausendealten Kulturen, komme sie dieser fremden Kultur besonders nahe. „Für diese Bereicherung meines Lebens bin ich unendlich dankbar. Der schöpferische Reichtum, den ich dadurch geschenkt bekomme, ist unbegrenzt. Und immer wieder flechte ich in meine ‚normale Kunst‘ spezielle Bereiche aus arabischer, orientalischer Kunst, Ornamentik, Kalligrafie und eben hier die der Miniatur ein.“
Wer tiefer in das west-östliche Leben der Marianne Manda eintauchen und weitere Schichten offenlegen möchte, dem seien ihre schriftstellerischen Arbeiten empfohlen. Auch wenn sie sich in erster Linie als bildende Künstlerin versteht, erklärt die inzwischen Achtzigjährige ihren Wechsel in die Schriftstellerei: „Derzeitig bin ich unter die Schreiberlinge gegangen, um meinem schwindenden Gedächtnis zuvorzukommen. Ich habe keine Notizen; aber vielleicht wäre es zumindest für meine Familie und für meinen Freundeskreis schade, wenn meine spannenden Erlebnisse in den Wüsten und den Bergen des Orients verloren gingen.“