Wie kommen Frauen in einer Gesellschaft klar, in der Männer das Sagen haben? Der Bildband „Sayeda. Frauen in Ägypten“ gewährt lohnende Einblicke.
Kurz vor Corona auf einer DAAD-Konferenz in Kairo: Etwa hundert Akademiker*innen treffen sich zu einem zweitägigen Austausch. Es geht um die aktuelle Situation von Frauen in Nord- und Ostafrika. Zahnärztinnen, Chirurginnen, Historikerinnen, Juristinnen, Architektinnen, Ingenieurinnen sind darunter, allesamt Alumni, die vor kurzer oder vor langer Zeit in Deutschland studiert haben. Sie erzählen von ihrem Berufsalltag, von ihren Beobachtungen, von kleinen und großen Diskriminierungen, von Rollenerwartungen, von familiären Zwängen. Ob Uganda, Ägypten, Sudan, Kenia oder Somaliland - die Erfahrungen ähneln sich: Frauen, auch gut ausgebildete, werden strukturell und systematisch benachteiligt. Eine junge, hochschwangere somalische Dozentin bringt es auf den Punkt: „It’s a boys club.“ Männer haben das Sagen und Frauen bleibt nur ein sehr limitierter Zugang zu einer Männerwelt.
Diese sehr persönlichen Erfahrungen der Alumnis werden von offiziellen Zahlen bestätigt. Ägypten steht im Global Gender Gap 2020, dem vom Weltwirtschaftsforum aufgestellten Index für Geschlechtergleichheit, auf Platz 134 von insgesamt 153. Die Lage der Frauen ist schwierig und zwar fast in jeder Hinsicht. Bildung, Ausbildung, Einkommen, Führungsaufgaben, rechtliche und politische Gleichstellung - ägyptische Frauen sind in allen Bereichen benachteiligt.
Portrait von S. in ihrem Wohnzimmer in Imbaba©Amélie Losier
Wie gut, dass die Frauenrechtsaktivistin Mozn Hassan gerade den Hrant Dink Award für ihr Engagement erhalten hat. Unter schwierigsten Umständen unterstützt sie in Not geratene Frauen mit ihrer NGO Frontlinedefenders.
Wie aber gehen Frauen in Ägypten mit dieser schwierigen Situation um? Wie leben sie im Boys Club? Die französische Fotografin Amélie Losier hat dazu schon vor drei Jahren und kaum bemerkt einen vorzüglich edierten Bildband vorgelegt. „Sayeda, Frauen in Ägypten“ erzählt in kurzen Texten und großformatigen Bildern von Frauen, die auf ganz unterschiedliche Weise ihr Leben meistern: Da ist die 42-jährige Nadia, die als Bauleiterin in Sadat-City ihre Frau steht und glücklich ist, diesen Beruf ausüben zu können.
Die Bauleiterin N. aus Sadat-City©Amélie Losier
Oder die 50-jährige Nour, die sich als eine der ganz wenigen Taxifahrerinnen in dieser Männerdomäne behauptet. Oder die 20-jährige Amal, die verlobt ist und ein wenig bedrückt sagt: „Leider werde ich bald heiraten. Die Menschen sind nicht mehr glücklich, sobald sie verheiratet sind.“ Oder die 42-jährige Mona aus Imaba, die als Köchin und Putzfrau arbeitet und stolz auf ihre Liebesheirat ist.
Die kurzen biographischen Einblicke und die mal knappen, mal längeren Äußerungen der Frauen zu ihren Lebenssituationen, von Franziska Schmidt redaktionell bearbeitet, ergeben ein feinsinniges Bild von Frauen in der ägyptischen Gesellschaft. Und ein vielschichtiges. So erzählt eine Koptin, wie sie unter ihrer sittenstrengen Religion leidet; misshandelte und beschnittene Frauen deuten ihr Leiden an, zwangsverheiratete, geschiedene und geflüchtete Frauen beschreiben, wie sie versuchen klar zu kommen. Und eine lesbische Frau offenbart ihre heimliche Liebe. Es sind selbstbewusste, glückliche, traurige, empfindsame, mutige, zweifelnde, wütende Frauen, deren Denken, Handeln und Erleben berührt.
Die Künstlerin H. in ihrem Wohnzimmer©Amélie Losier
Einfach war dieses Unterfangen nicht, wie die Fotografin im Epilog erläutert: Sie reiste mehrfach von Berlin nach Kairo, Alexandria, in die Delta-Region und ins Fayoum, nahm über zahlreiche Netzwerke Kontakte zu sehr vielen Frauen auf, bis schließlich 30 Ägypterinnen im Alter von 19 bis 78 Jahren Einblicke in ihre Lebenswelten gewährten.
Dass Amélie Losier eine feinsinnige Portraitfotografin ist, zeigt sich an den Frauenfotos, die mehr als nur gut gemacht sind. Sie erzählen Geschichten. Dass sie auch etwas von Reportagefotografie versteht, offenbaren die Fotos des Kairoer Alltags, die sorgfältig ergänzt wurden und so einen Blick auf die ägyptische Gesellschaft erlauben.
Unterwegs im Bus©Amélie Losier
Ergänzt mit einem sehr lesenswerten Essay von Hoda Salah, die an der FU Berlin lehrt, ist dieser Band ein Geschenk für alle, die mehr über Frauen in Ägypten, deren Rollen und Selbstverständnis erfahren möchten.
Schade ist nur, dass die Beiträge zwar ins Englische und Französische übersetzt wurden, aber nicht ins Arabische.