Der Milliardär Samih Sawiris hat am Roten Meer El Gouna nach seinem Bild erschaffen. Hier gelten andere Regeln als im Rest des Landes, hier herrscht Freiheit innerhalb einer abgesicherten Retorte.
Wir sind mit Brad Pitt am äussersten Rand des Sonnensystems, 4,5 Milliarden Kilometer von der Erde entfernt. Über uns nur Sterne. Am Filmfestival in El Gouna wird am Eröffnungsabend «Ad Astra» gezeigt. Der Science-Fiction-Weltraumthriller läuft hier im eigens für das Festival aufgestellten Open-Air-Kino. Die meisten Zuschauerinnen und Zuschauer haben ihre Plätze aber nach der Begrüssungszeremonie wieder verlassen; lieber posieren sie jetzt nebenan in ihren Roben auf dem roten Teppich oder fahren in schwarzen Limousinen zur anschliessenden Party vor.
Schönheit auf dem Roten Teppich beim El Gouna Filmfestival 2019 © El Gouna Filmfestival
Wir sind bei Samih Sawiris am Rand Ägyptens, 450 Kilometer von Kairo entfernt, 25 von Hurghada. Fünf Autostunden nur – und doch scheint El Gouna so fern von der Hauptstadt wie der Neptun von der Erde. Um uns herum Lagunen, Marinas mit schicken Restaurants, orientalisch-nubische Häuser mit Kuppeln. Eine einheitliche Architektur in warmen Farbtönen von Gelb bis Orange, lauter ordentlich parkierte Autos. Kein Abfall, kein Lärm, kein Hupen. Eine Frau mit Kopftuch ist die grosse Ausnahme, Frauen in Bikinioberteilen dagegen betreten hier sogar Restaurants.
Es heisst, jede betuchte Ägypterin habe zu Hause in einer Ecke einen gepackten Koffer stehen, das El-Gouna-Köfferchen. Darin befinden sich all die Kleidungsstücke, die sie nirgendwo sonst im Land unbeschwert tragen kann: tief Ausgeschnittenes, kurze Röcke, glitzernde Tanktops. Vielleicht das Aussergewöhnlichste für Ägypten: das 2013 in El Gouna lancierte Festival für elektronische Musik. Halbnackte junge Menschen, die drei Tage durchtanzen. Konservative Parlamentarier hätten um ein Haar die Abschaffung des Festivals durchgesetzt; doch dann war offenbar hilfreich, dass die Söhne und Töchter so mancher Politiker genau diesen Event geniessen.
Vor 30 Jahren war hier nur Sand
Der ägyptische Milliardär Sawiris hat sich dieses Städtchen am Roten Meer auf sandigem Nichts selbst erbaut. «Hier war reine Wüste, es gab nicht einmal eine Zufahrt.»
Luftaufnahme von El Gouna 1989 © Orascom
Was er vor genau dreissig Jahren als kleines Projekt für sich und seine Freunde in Angriff nahm, ist inzwischen zu einer Kleinstadt mit rund 20 000 Einwohnern gewachsen. Mit allem, was es so braucht – und mehr: Es gibt eine Schweizer Primarschule, eine deutsche Universität, ein Spital, Hotels, Restaurants, Läden, eine Bibliothek, Kinos, eine Radiostation, Golfplätze, Tauchzentren und sogar einen kleinen Flughafen. Private Sicherheitsdienste statt Polizisten schützen das Gelände. Es ist, als ob hier andere Gesetze gälten.
El Gouna im Jahre 2008 © Orascom
Hier macht sich ein Mann seine Welt, wie sie ihm gefällt. Ein Filmfestival? Vor drei Jahren wurde es lanciert; 84 Filme wurden heuer gezeigt. Stars wie Sylvester Stallone oder Owen Wilson werden eingeflogen. Eine Konzerthalle? Zwanzig Kräne ziehen derzeit ein Kultur- und Kongresszentrum hoch. Es sei das teuerste Objekt, das er je gebaut habe, sagt Sawiris beim Gespräch in seinem Wohnzimmer mit Blick auf die Abu Tig Marina. Der Milliardär trägt Shorts und Flipflops, sein Bediensteter macht ihn höflich auf ein kleines Loch in seinem T-Shirt aufmerksam. Am 7. November solle das Kulturzentrum bis auf den geschlossenen Konzertsaal fertig sein, denn dann heirate seine Tochter.
«Wie viel kostet es?» – «Wollen Sie die Wahrheit wissen?» – «Ja.» – «Ich weiss es nicht. 20, vielleicht 30 Millionen. Das wird nicht gewinnbringend. Ich wollte etwas für die Stadt bauen, das es sonst nirgends in Ägypten gibt.»
Zwischen Cocktails das Elend
El Gouna ist ein total künstlicher Ort. Der Vergleich mit Disneyland ist nicht allzu schief: Einer der beteiligten Hotelarchitekten, Michael Graves, hatte zuvor mehrere Gebäude für den Disney-Konzern entworfen. Wer als Tourist herkommt, wird hier nicht das echte Ägypten finden.
Swimmingpool des "La Maison Bleue" © Orascom
Doch dasselbe gilt für jedes All-inclusive-Hotel auf dieser Welt. Nur dass man in El Gouna ein weniger schlechtes Gewissen haben muss. Die Stadt hat nicht nur eine propere Fassade, sie gilt auch als die ökologischste auf dem afrikanischen Kontinent. Der Müll wird zu 85 Prozent rezykliert – das ist eine um 30 Prozent höhere Quote, als die Schweiz ausweisen kann. Als erstes Resort am Roten Meer hatte El Gouna schon früh eine Kläranlage installiert. Die Golfplätze werden mit Brauchwasser getränkt. Bis in zwei, drei Jahren soll die Stadt laut Sawiris CO2-neutral werden.
El Gouna ist ein total exklusiver Ort. Doch wenig macht Sawiris wütender als der Vorwurf, seine Stadt sei nur für Reiche. «Ich könnte mein Boot nicht geniessen, wenn ich wüsste, dass die Arbeiter hier zu zehnt in einer Hütte leben. Gehen Sie nach al-Bustan!» In diesem Stadtteil wohnen Kellner, Sicherheitsleute, Strassenkehrer. Für umgerechnet 10 000 Franken können sie hier ein kleines Haus für sich und ihre Familie kaufen. Wer viele Jahre hier arbeitet und spart, kann es sich leisten. Das Lohnniveau ist in El Gouna um einiges höher als in Ägypten sonst üblich. Ein einzelner Angestellter könne ganze Grossfamilien ernähren, erzählt Joël Plozza, der Schweizer Besitzer des Restaurants Malu’s Deli. Bei ihm können Touristen auf einer Piazza Smoothies und Birchermüesli bestellen, in Downtown gibt es im «Chuchichäschtli» Rösti und Geschnetzeltes.
Über 30 Prozent der 100 Millionen Ägypter leben in Armut. Davon ist in El Gouna gar nichts zu spüren. Die Probleme der Welt flackern hier neun Tage lang auf – in den Kinosälen. «Cinema for Humanity» heisst das Motto des Filmfestivals. Es geht auffallend häufig um Flucht, Krieg und Armut. Da schaut man sich also zwischen zwei Cocktails an, wie in Kabul zwei Buben ihr Leben zwischen zwei Bombenattentaten gestalten. Vor dem Abendessen vielleicht noch ein Film über eine junge Jesidin, die als Sexsklavin verkauft wird, danach Ken Loachs Albtraum eines Working Poor. Viele feine Independent-Filme aus aller Welt stehen im Kontrast zur protzigen Klientel, die abends die Marina entlang promeniert.
Das Festival möchte dem arabischen Film Rückenwind geben. Der dieses Jahr mit dem Hauptpreis gekrönte sudanesische Beitrag «You Will Die at Twenty» ist überhaupt erst der siebte Spielfilm aus diesem Land – das Preisgeld, 50 000 Dollar, soll in dessen Filmindustrie fliessen. Auffallend schlecht bestellt ist es um das einst stolze ägyptische Filmschaffen: Die beiden Premieren aus dem eigenen Land fallen als die schwächsten ab. Mangelnde Ausbildungsmöglichkeiten, keinerlei staatliche Fördermittel und eine strikte Zensur — diese fatale Kombination setze der Filmindustrie zu, erzählt ein Regisseur. So dringen sie durch die Hintertür doch in die schöne neue El-Gouna-Welt ein, die Probleme Ägyptens.
Fern von den Protesten
Nachts wird um Swimmingpools getanzt. Die Proteste in Kairo scheinen 4,5 Milliarden Kilometer entfernt. Touristisch hat sich das Land vor wenigen Jahren einigermassen erholt vom Tiefststand nach den Revolutionen.
Der Strand des "La Maison Bleue" ist besonders bei Hochzeitspaaren sehr beliebt © Orascom
Doch wie es scheint, können die Unruhen jederzeit wieder ausbrechen. Sawiris winkt ab: Die Anzahl der Protestierenden sei lächerlich klein. Dahinter steckten bloss die Muslimbrüder. «Wenn die Bevölkerung wirklich sehr unzufrieden wäre, dann hätten es diese paar hundert Leute ohne Mühe geschafft, dass viele andere ihnen gefolgt wären.» Er meint es anscheinend ernst. Wer in Ägypten geschäftet, muss sich einigermassen regierungstreu geben. Und gerade als Kopte fürchtet man nichts mehr als eine Rückkehr der Muslimbrüder. Die Ägypter seien seit 6000 Jahren an mächtige Herrscher gewöhnt, sagt Sawiris, die Europäer seien naiv gewesen zu glauben, dass plötzlich innert weniger Monate eine Demokratie entstehen könne.
Samih Sawiris beim Filmfestival 2019 © El Gouna Filmfestival
Erst die Hälfte der 37 Quadratkilometer El Gounas sind verbaut. «In weiteren dreissig Jahren soll die Stadt 100 000 Einwohner haben», sagt Sawiris. Er hat sich bereits an drei weitere Grossprojekte im selben Geist gemacht: In der Schweiz etwa verwandelt er das Gebirgsdorf Andermatt in ein Luxusresort. Der Abschlussfilm des El Gouna Film Festival 2019 hiess: «They Say Nothing Stays the Same».