Ich wohne hier. Das will ich sagen, nur will es mir auf Ägyptisch-Arabisch gerade nicht einfallen. Es wäre jetzt praktisch, fiele mir das Verb für wohnen ein. „Ich wohne hier.“ Das ist ein guter Grund, ein Haus betreten zu wollen. „I live here“, sage ich. Der Sohn des Bawabs, des Türstehers, schaut mich verständnislos an. Er kann genauso wenig Englisch wie sein Vater, und er fragt sich, warum ich ausgerechnet in dieses Mehrfamilienhaus will.
Ähm, „ana suchnah hina"!? Die letzte Arabisch-Lektion ist schon viel zu lange her, unser Lehrer seit Wochen krank. Nierensteine. Ich weiss nun alles über seinen Harntrakt samt einhergehenden Beschwerden - leider hat er das nicht auf Arabisch erzählt, sondern auf Englisch. Und jetzt führen die Nierensteine meines Arabischlehrers dazu, dass ich mit acht vollen, wenn auch kleinen Einkaufssäcken vor dem Haus stehe, in dem ich ab heute wohne, unfähig, es zu erklären, so dass mir jemand die Türe öffnen könnte. Ich bin keine Einbrecherin, ich bin die neue Mieterin! Vielleicht kann ich das in einem Jahr sagen. Aber bis dahin kennen die Leute mich hier wohl schon recht gut und es könnte etwas komisch wirken.
Mein erster Einkauf für die neue Wohnung. Dabei sind wir eigentlich schon seit einigen Wochen zahlende Mieter hier an der Abou el Feda in Zamalek, einem Quartier mitten in Kairo. Aber die Möbel kamen erst heute an, um Wochen verspätet. Fast täglich telefonierte ich mit der Umzugs-Firma. Bei jedem Anruf ein neues Problem – Muschkilla. Es fehle dieser Ausweis, jenes Formular. Dann war Eid, Opferfest, höchster Feiertag. Nach so einem Feiertag muss man sich noch paar Tage davon erholen, insbesondere als Zügelfachkraft.
„Vielleicht kommen und gehen Gesetze wie die Flut des Nils."
Es sei soeben ein neues Gesetz in Kraft getreten, hiess es schliesslich kurz vor der Lieferung; ein Gesetz, das Lastwagen in unserem Quartier verbiete. Man müsse jetzt einzeln in kleineren Autos anliefern. Wir sollten doch bitte die Sachen angeben, die wir zuerst bräuchten, in Form ihrer Gepäcknummern. Kaum getan, war es dann doch möglich, alles am selben Tag anzuliefern. Vielleicht kommen und gehen Gesetze wie die Flut des Nils, nur weniger vorhersehbar. Ich habe jedenfalls bereits in den ersten Wochen gelernt, nicht zu viel zu hinterfragen. Logik ist hier in Kairo nicht das Mittel der Wahl. Sonst endet sie im Wahnsinn.
Der Bawabsohn hat begriffen und öffnet die Haustüre. Er fährt mit dem Lift mit mir in den siebten Stock, die Lift-Aussentüren lässt er dabei offen. Hier drin steckten wir heute Mittag noch mit den Zügelleuten fest, zum Glück nur eine Viertelstunde. Ich betrete die neue Wohnung, stelle die Säcke ab, ziehe die Schuhe aus. Nach ein paar Schritten habe ich schwarze Füsse. Staubstadt Kairo. Inoffiziell 24 Millionen Einwohner, 14 Millionen Fahrzeuge, Milliarden Körner Wüstensand und 22 Zementfabriken. 24 Millionen plus zwei. Hier sind wir jetzt also zu Hause.
„Logik ist in Kairo nicht das Mittel der Wahl. Sonst endet sie im Wahnsinn."
Es war ein langer Zügeltag nach langen Zügelwartewochen. Unausgepackte Kisten verstellen die Wohnung. Wir gehen kurz raus, im Restaurant ums Eck was essen. Als wir zurückkommen, kriegen wir die Wohnungstüre nicht mehr auf. Der Bawab kommt in seiner Gallabija (einer Art Morgenrock) angeschlurft und angemurmelt. Er steckt den Schlüssel in den Mund und angenetzt zurück ins Schloss. Hilft nichts. Das Zweitschloss, eigentlich nicht in Gebrauch, ist inwendig zugeschnappt. Schlüsselservice? Nur ja nicht logisch denken! Besser Gewalt anwenden, viel besser. Der Bawab holt Keil und Hammer. Es ist kurz vor Mitternacht. „Hoffentlich haben wir die Nachbarn nicht aufgeweckt“, sage ich. „Wenn nicht, dann werden wir es jetzt tun“, sagt mein Mann. Der Bawab hämmert das Schloss aus der Türe. Minutenlang. Wir hatten die Türe zuvor auf ihre Sicherheit untersuchen lassen. Die ist gross, das zeigt sich jetzt ganz deutlich. Am Abend des ersten Tages in der neuen Wohnung brechen wir ein. Bei uns selber.
Susanna Petrin ist eine Schweizer Kulturjournalistin und lebt derzeit in Ägypten. Für Papyrus schreibt sie über die kleinen Irritationen und das grosse Staunen im Kairoer Alltag.